Typische Herausforderungen bei der Anbindung eines Tarifierungssystems
Das Zusammenspiel von Bestandsführungssystem und internen wie externen Tarifierungskomponenten ist ein zentraler Baustein der Core-Insurance-Systeme. Soll ein neues Tarifierungssystem oder das “alte” Tarifierungssystem an ein neues Bestandssystem angebunden werden, stellt es Aktuariat, Fachbereich und IT vor verschiedene Herausforderungen.
Warum effiziente, state-of-the-art Systeme so wichtig sind
Dass das Tarifierungssystem eine Blackbox sei, hört man immer wieder, wenn man mit Versicherungsunternehmen spricht. Dabei ist die Verwaltung von größeren und komplexeren Versicherungsbeständen und Produkten ohne ein leistungsstarkes Tarifierungssystem kaum möglich. Das System hat die Aufgabe, einzelvertragliche und stichtagsbezogene Berechnungen von vielfältigen numerischen Werten zu einem Versicherungsvertrag vorzunehmen. Dazu braucht es sämtliche tarifierungsrelevante Antrags-/Vertragsdaten sowie Tarif-Know-how. Es müssen alle tarifierungsrelevanten Informationen im Back- oder Frontend hinterlegt sein und auch in entsprechender Form an das Tarifierungssystem übergeben werden.
Genau hier liegt die Krux: Soll ein Tarifierungssystem angebunden werden, führt kein Weg an Schnittstellen zu Bestands- und diversen Umsystemen vorbei. Das Schnittstellenmanagement ist die zentrale Herausforderung im Projekt, aber nicht die einzige.
Herausforderung 1: internes vs. externes Tarifierungssystem
Soll ein neues, leistungsstärkeres Tarifierungssystem eingeführt werden, steht das Projektteam zunächst vor der Frage: internes oder externes Tarifierungssystem – was ist sinnvoller?
Die Wahl hängt von den spezifischen Bedürfnissen des Versicherungsunternehmens ab. Für Unternehmen mit verschiedenen Versicherungssparten und mehreren Bestandsführungssystemen empfiehlt sich meist, ein zentrales Tarifierungssystem zu nutzen. Dies ermöglicht es, dass Fachabteilungen und IT-Experten nur für eine Tarifierer-Technologie Wissen aufbauen müssen und die Pflege und Weiterentwicklung zentral erfolgen können.
Herausforderung 2: Schnittstellen zu Bestands- und Umsystem(en)
Um die Schnittstellen sauber aufzusetzen, ist sowohl die detaillierte Analyse des Bestands-, Tarifierungs- und der weiteren Umsysteme wie auch eine klare fachliche Begriffsdefinition notwendig. Je nachdem, ob ein eigenentwickeltes Bestandssystem oder ein Standardsystem im Einsatz ist, stellt das das Projektteam vor ganz unterschiedliche Herausforderungen.
Individuell für eine Versicherung entwickelte Bestandsführungssysteme können entweder eine bestimmte interne oder nur eine bestimmte externe Tarifierungskomponente verwenden. Änderungen an solchen Individualentwicklungen verursachen einen erheblichen Aufwand, dem meist kein unmittelbarer Nutzen gegenübersteht.
Die wesentliche Herausforderung bei Systemen von Standardsoftwareherstellern ist, dass die fachlichen Schnittstellen zu externen Tarifierungskomponenten alles andere als normiert sind. Sowohl die Produktinformationen als auch die Liste der zu berechnenden numerischen Werte sind hochgradig individuell wie z. B. Listen von Attributen und Werten oder auch die innere Struktur dieser Daten.
Wichtig bei der Umsetzung der Schnittstellen: die Kommunikation zwischen Fachlichkeit, Aktuariat und den jeweils umsetzenden IT-Einheiten (Bestands-/Verkaufssystem) bzw. der IT-Einheit, welches das Tarifierungssystem baut. Ist es ein System, bei dem die Aktuare selbst den Tarif aufbauen können oder basiert es auf Java/Python/C++, bei dem die IT die Hauptimplementierungslast trägt? Je nachdem müssen die Rollen von IT und Aktuariat bewertet werden. Kann das Aktuariat die Tarife selbst bauen, fällt ein Abstimmungsschritt weg.
Im Idealfall verantwortet die Schnittstellen jemand, der die Bereiche Mathematik, Fachlichkeit und Technik abdecken kann.
Weitere Umsysteme, die nicht vergessen werden dürfen:
- Verkaufssysteme
- Abrechnungssysteme
- Risikokontrollsysteme (Leben)
Herausforderung 3 – Anzahl Mapping Layer klein halten
Je weniger Mapping Layer implementiert werden, desto weniger Pflegeaufwand entsteht. Es ist ratsam, möglichst generalistische Mapping Layer zu erstellen, um eine breitere Wiederverwendbarkeit zu gewährleisten. Die Frage, ob Hard Coding oder tabellengetriebene Lösungen verwendet werden sollen, hängt von der Komplexität des Produkts ab.
Herausforderung 4 – Dokumentation & Kopfmonopole
Meist wird die Dokumentation des Tarifierungssystems recht stiefmütterlich behandelt. Das Know-how über Prozesse und Daten verteilt sich daher oft auf wenige Kopfmonopole im Unternehmen. Verlassen diese das Unternehmen, kann bei der Anbindung des Tarifierungssystems an ein neues Bestandssystem das Unternehmen – aber natürlich auch unabhängig vom Projektgeschehen – zu Verzögerungen führen. Die Dokumentation sollte daher bereits während der Entwicklung des neuen Systems entsprechend berücksichtigt werden – insbesondere bei mehreren Mappinglayern.
Herausforderung 5 – End-to-End-Tests
Werden nur neue Tarife angebunden, muss sich das Aktuariat keine Gedanken über eine Bestandswirksamkeit machen. Sollen aber bereits bestehende Tarife abgebildet werden, muss das Aktuariat die Auswirkungen auf den Bestand im Blick haben: Funktionieren alle Tarife? Nicht nur, aber gerade dann, ist ein Punkt unumgänglich: Testen, testen, testen. In der Praxis fällt das Testen der Anwendung meist aufgrund von Zeit- oder Kostendruck unter den Tisch – oder wird gar ganz vergessen.
Wichtig dabei,
- klare, testbare Abnahmekriterien definieren
- End-to-End testen: Von der GUI des zu testenden Systems bis in das eigentliche Tarifierungssystem und wieder zurück
- Verantwortlichkeiten klären und Schnittstellen zwischen Aktuariat, IT und Fachbereich besetzen
- Komponentengetrieben testen: Zunächst jede Komponente / jedes Layer testen, dann aber auch die Verbindung zu den abhängigen Layern
Fazit
Die Einführung eines neuen Tarifierungssystems erfordert ein fundiertes Verständnis von Schnittstellen, Mapping Layern und Testprozessen. Um die Schnittstellen sauber aufsetzen zu können, muss das Projektteam nicht nur das Tarifierungssystem, sondern auch die Umsysteme und ihre Funktionsweise und Datenbereitstellung verstehen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Aktuariat, Fachbereich und IT und interdisziplinäre Kompetenzen sind entscheidend, um diese Herausforderungen zu meistern.
Autor
Als erfahrener IT Berater in der Sachversicherung berät Max Hopperdietzel Versicherungsunternehmen hinsichtlich Produktdesign und deren Einführung in Bestands-, Verkaufs- und Tarifierungssystemen
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