Barrierefreiheitsstärkungsgesetz: Was bedeutet das BFSG für die Versicherungsbranche?
Barrierefreie Dokumente nach dem – PDF/UA Standard, Kundenportale & Co.: Ab Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Es setzt in Deutschland den European Accessibility Act (EAA) um: Die EU-Richtlinie fordert, dass Produkte, Dokumente und Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen leichter zugänglich werden. Das Gesetz bringt umfangreiche Veränderungen für viele Branchen – auch für die Versicherungsbranche. Laut diverser Studien sind aktuell nur etwa vier Prozent des Internets barrierefrei gehalten. Was bedeutet das Gesetz für Versicherungen – im Allgemeinen und für die Dokumentenerstellung im Konkreten?
Barrierefreiheitsstärkungsgesetz 2025: Worum geht es?
In Deutschland leben mehr als 13 Millionen Menschen mit Beeinträchtigung (Quelle: Bundesregierung). Ziel des Gesetzes ist es, die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an digitalen Angeboten zu vereinfachen und Diskriminierungen abzubauen. Mithilfe von barrierefreien digitalen Angeboten, angepassten Dokumenten und Kommunikationsmitteln sollen Menschen mit Behinderungen in Zukunft über die gleichen Informationen und Services verfügen können wie alle anderen Nutzerinnen und Nutzer.
Nach dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) sind Unternehmen verpflichtet, ihre Produkte, Dokumente und Services bis zum 28. Juni 2025 barrierefrei zu gestalten. Das betrifft auch Versicherungsunternehmen:
- Barrierefreie digitale Dienstleistungen: Versicherungen müssen sicherstellen, dass Websites, Apps und andere digitale Angebote den neuen Richtlinien entsprechen. Dies umfasst u. a. barrierefreie Navigation, Textalternativen für Bilder und die Möglichkeit, Inhalte für unterschiedliche Nutzerbedürfnisse anzupassen.
- Inklusive Kundenkommunikation: Nicht nur die digitalen Plattformen, auch die Kommunikation selbst muss inklusiv gestaltet sein. Verträge, Dokumente und Informationen müssen in Formaten zur Verfügung gestellt werden, die von allen Kunden genutzt werden können – egal ob visuelle, auditive oder motorische Einschränkungen vorliegen.
- Barrierefreie Dokumente: Ein besonderer Fokus liegt auf barrierefreie PDF-Dokumente.
7 Dinge, die Versicherer beachten sollten
Was heißt eigentlich „barrierefreie Dokumente“?
Die Anforderungen an barrierefreie Dokumente und Web-Anwendungen sind landesweit in der Barrierefreien-Informationstechnik-Verordnung BITV sowie global in den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) festgelegt.
Dazu zählen folgende Kriterien:
- Texte sind gut zu strukturieren, damit Inhalte einfach erfasst werden können – zum Beispiel durch die Nutzung von Aufzählungen und Nummerierungen.
- Einfache Navigation durch Inhaltsverzeichnisse mithilfe von Links: Für eine einfache Navigation sollte ein klickbares Inhaltsverzeichnis eingefügt werden, das direkt zu den einzelnen Abschnitten verlinkt ist. Dies ermöglicht Nutzerinnen und Nutzern, mit Screenreadern gezielt zu bestimmten Kapiteln zu springen.
- Einfache Sprache und Definitionen: Die Sprache der Versicherungsbedingungen sollte so weit wie möglich vereinfacht und fachliche Begriffe erklärt werden. Eine zusätzliche „Einfache Sprache“-Version kann ebenfalls hilfreich sein und lässt sich im selben Dokument unter einem eigenen Abschnitt bereitstellen.
- Tabellen mit korrektem Tagging: Versicherungsbedingungen beinhalten oft komplexe Tabellen mit Informationen zu Leistungen, Prämien oder Bedingungen. PDF/UA erfordert, dass Tabellen mit klaren Header- und Data-Tags versehen sind, sodass Screenreader korrekt zwischen Spaltenüberschriften und Daten unterscheiden können.
- Keine verschachtelten Tabellen verwenden: Verschachtelte Tabellen sollten vermieden werden, da sie oft zu Leseschwierigkeiten führen. Falls erforderlich, sollten separate, klar markierte Tabellen verwendet werden.
- Verwendung von Alternativtexten zur Beschreibung von audiovisuellen Elementen, Bildern und Grafiken: Falls ein Diagramm sehr komplex ist, kann eine zusätzliche textliche Beschreibung eingebettet oder im Anhang als erklärender Absatz hinzugefügt werden. So erhalten Screenreader-User Zugang zu denselben Informationen wie sehende Leser:innen.
- Farben nicht als sinntragende Elemente, der Inhalt sollte auch in Schwarz-Weiß verständlich sein.
- Und über 80 weitere Anforderungen …
Die Umsetzung ist alles andere als einfach
Auf dem Weg, komplexe Versicherungsbedingungen als PDF/UA-konforme Dokumente umzusetzen, lauern einige Hürden. Eine dieser Hürden ist die historisch gewachsene IT-Landschaft der Versicherer. Die Herausforderung besteht darin, PDF/UA-konforme Dokumente aus älteren IT-Systemen zu generieren, die oft nicht für die Erzeugung barrierefreier PDFs ausgelegt sind. Hier sind Investitionen in neue Softwarelösungen oder umfangreiche Anpassungen erforderlich.
Die Erstellung PDF/UA-konformer Dokumente kann zusätzliche Kosten verursachen, insbesondere wenn bestehende Dokumente überarbeitet oder vollständig neu erstellt werden müssen. Besonders aufwendig ist es, ältere Dokumente nachträglich zu optimieren, vor allem bei umfangreichen Archiven. Es ist bereits oben angeklungen: Versicherungsdokumente müssen hinsichtlich folgender Punkte nachjustiert werden:
- PDF-Dokumente sind nicht korrekt getaggt – diese Tags sind notwendig, damit Screenreader den Inhalt in logischer Reihenfolge vorlesen können.
- Versicherungen nutzen oft Grafiken zur Visualisierung von Tarifen oder Prozessen, die aber ohne Alternativtext nicht für sehbehinderte Personen zugänglich sind.
- Viele Versicherungen nutzen jedoch spezifische Corporate-Design-Farben, die den Kontrastanforderungen oft nicht gerecht werden – ausreichende Kontraste sind notwendig, damit auch Menschen mit Sehbeeinträchtigungen die Inhalte gut lesen können.
- Eingabefelder bei PDF-Formularen sind häufig nicht korrekt beschriftet.
Unabhängig von den technischen Anforderungen kommt hinzu: Das BFSG fordert auch eine sprachliche Barrierefreiheit, was gerade bei rechtlich komplexen Versicherungsdokumenten eine Hürde darstellt. Versicherungen müssen auf Fachjargon verzichten oder klare Erklärungen bieten, um die Inhalte allgemein verständlich zu machen. Darüber hinaus erfordern barrierefreie PDFs ein umfassendes Testing mit Screenreadern und anderen Hilfsmitteln, um die tatsächliche Zugänglichkeit zu überprüfen. Dies kann zeit- und ressourcenintensiv sein und ist neben dem eigentlichen Alltagsgeschäft zu stemmen.
Wie also vorgehen, um Dokumente nach PDF/UA-Standard zu erstellen?
Um barrierefreie Massendokumente nach PDF/UA-Standard umzusetzen, sind sowohl technische Anpassungen als auch organisatorische Veränderungen notwendig:
Zuerst müssen alle Arten von Dokumenten erfasst werden, die in großer Menge erstellt werden (z. B. Policen, Rechnungen, Vertragsbedingungen). Dabei sollte auch das jährliche Volumen analysiert werden, um ein Verständnis für den Anpassungsaufwand zu entwickeln. Überprüfen Sie in diesem Schritt ebenfalls, welche IT-Systeme derzeit zur Dokumentenerstellung genutzt werden und inwiefern sie PDF/UA-Anforderungen unterstützen. Das schließt Content-Management-Systeme, CRM-Systeme und automatisierte Dokumentenerstellungs-Tools ein.
Legen Sie im zweiten Schritt Standards für Tagging und Struktur fest. Jedes Dokument sollte klar definierte Tags für Überschriften, Absätze, Tabellen und Listen enthalten, um die Lesbarkeit mit Screenreadern zu gewährleisten. Wie wollen Sie insbesondere mit Logos, Diagrammen und anderen visuellen Elementen umgehen? Definieren Sie Richtlinien für Alternativtexte und Beschriftungen in den Dokumenten.
Falls bestehende Systeme keine PDF/UA-konformen Dokumente generieren können, sollte ein Upgrade oder die Integration von Softwarelösungen erfolgen, die barrierefreie PDFs unterstützen (z. B. Adobe Experience Manager, PDF Accessibility Checker für automatisierte Überprüfungen). Um BFSG-konforme Massendokumente automatisiert erstellen zu können, gestalten Sie die barrierefreien Vorlagen mit notwendigen Tags und Strukturen.
Teams, die an der Dokumentenproduktion beteiligt sind, sind in den Grundlagen der Barrierefreiheit und den spezifischen Anforderungen von PDF/UA zu schulen. Das schließt sowohl technische Mitarbeitende als auch Autorinnen und Autoren von Inhalten ein.
Testen Sie zur Qualitätssicherung die Dokumente regelmäßig. Mit Screenreadern können Sie stichprobenartig überprüfen, ob alle Inhalte wie gewünscht vorgelesen werden. Diese Tests können intern durchgeführt oder an externe Dienstleister vergeben werden. Tools wie der PDF Accessibility Checker überprüfen automatisiert, ob die generierten Dokumente die PDF/UA-Standards einhalten.
Kunden und Mitarbeitende sollten die Möglichkeit haben, Feedback zu den barrierefreien Dokumenten zu geben. Dies hilft, frühzeitig auf Verbesserungsmöglichkeiten aufmerksam zu werden. Prüfen Sie darüber hinaus regelmäßig, ob die genutzten Systeme und Templates noch den aktuellen Standards für Barrierefreiheit entsprechen, und nehmen Sie bei Bedarf Anpassungen vor. Arbeiten Sie mit Ihren Datenschutz- und Compliance-Teams eng zusammen, um die Dokumente regelmäßig auf Konformität mit den gesetzlichen Anforderungen zu überprüfen.
Vorteile des BFSG
Wettbewerbsvorteil durch Inklusion
Unternehmen, die frühzeitig auf barrierefreie Angebote setzen, schaffen nicht nur einen inklusiveren Zugang und zeigen gesellschaftliche Verantwortung, sondern positionieren sich auch wettbewerbsfähig. Barrierefreiheit wird zum Schlüsselfaktor, um breitere Kundengruppen zu erreichen und langfristig Vertrauen aufzubauen.
Autor
Kai Stibitz besitzt über 20 Jahre Erfahrung in der Versicherungswirtschaft. Hier hat er sowohl auf fachlicher als auch auf der IT-Seite CCM-Lösungen ausgewählt, integriert, angebunden oder migriert.
Ihr Ansprechpartner
Kai Stibitz
FAQ zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz
Ab dem 28. Juni 2025 müssen alle Websites, Apps, Produkte und Dienstleistungen, die unter das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz fallen, die Standards zur Barrierefreiheit erfüllen.
Ja, nach dem BFSG (Barrierefreiheitsstärkungsgesetz) müssen Unternehmen ihre Websites, Apps, Kundenportale und digitale Geschäftskommunikation sowie Services barrierefrei gestalten.
Ab dem 28. Juni 2025.