„Cooling-Off“ – Chance oder Bedrohung für die Bancassurance?
In diesem Blog-Artikel werfen wir einen Blick darauf, welchen Einfluss die Einführung einer sog. „Cooling-Off-Phase“ beim Verkauf von Restschuldversicherungen hat, welche Themen Versicherer beachten sollten und wie sich der Markt verändern könnte.
Die Reaktionen von Branchenexpertinnen und -experten sind ganz unterschiedlich, wenn man über das Zukunftsfinanzierungsgesetz und die damit verbundene Einführung einer “Cooling-Off-Phase“ spricht. Der Zuversicht, alle Weichen gestellt zu haben und vorbereitet zu sein, steht Unsicherheit gegenüber – Unsicherheit dahingehend, welchen Einfluss die gesetzlichen Änderungen auf Produkte, Prozesse und die eigene Strategie haben.
Definition: : Was ist die Cooling-Off-Phase?
Bestandteil des Zukunftsfinanzierungsgesetzes, welches zum 01.01.2025 in Kraft treten soll, ist die sog. Cooling-Off-Phase (auch Cooling-off-Frist oder Cooling-off-Periode genannt). Damit ist im Gesetz eine 7-tägige Frist zwischen Abschluss eines Kredit-/Finanzierungsvertrags und Abschluss einer Restschuldversicherung vorgesehen. Derzeit liegt zwar eine Klage des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) gegen das Gesetz vor, dennoch müssen Versicherer und deren Vertriebspartner sich darauf vorbereiten, die neuen regulatorischen Vorgaben ab Beginn des kommenden Jahres erfüllen zu müssen. In ihrer Klage wirft der GDV dem Gesetzgeber einen Verstoß gegen die europäische Verbraucherkreditrichtlinie – also gegen geltendes Europarecht – vor. Darüber hinaus weist der GDV darauf hin, dass nach Abschluss einer Restschuldversicherung innerhalb von 30 Tagen ein Widerruf möglich ist. Eine Abschlussfrist sei demnach nicht nötig.
Was ändert sich durch die Cooling-Off-Periode?
1. Neue Anforderungen an die Beratung am Point-of-Sale
Das klassische und vielleicht auch etwas klischee-behaftete Bild zum Abschluss einer Restschuldversicherung sieht wie folgt aus: Der Kunde erscheint pünktlich um 16 Uhr zur Unterschrift eines Konsumentenkredits in seiner Bankfiliale. Kurz nach 16 Uhr ist nicht nur der Kredit abgeschlossen, sondern fast in Echtzeit auch die Restschuldversicherung im Bestandssystem des Versicherers policiert. Vollautomatisiert wurde der Antrag verarbeitet und der Versicherungsschein auf den Weg gebracht. Gleiches gilt auch für den Abschluss einer Kfz-Finanzierung in einem Autohaus oder den Kreditabschluss auf einer Online-Plattform, der mit einer Restschuldversicherung abgesichert werden soll.
Zukünftig wird sich das Bild verändern: Die Finanzierung ist in trockenen Tüchern, aber auf den Abschluss des Versicherungsvertrags müssen Kreditgeber, Versicherer und Verbraucher warten. Für den Endkunden entsteht dadurch eine Schutzlücke, auf Seite des Kreditgebers fehlt hingegen die sofortige Sicherheit.
In diesem Zusammenhang müssen Beratungsansätze überprüft und die Vertriebsprozesse angepasst werden:
- Bei welcher Art von Finanzierung kann die klassische Restschuldversicherung (RSV) Teil der Finanzierungsberatung bleiben und auch direkt zum Abschluss gebracht werden?
- Wie wird die klassische RSV in die Beratung integriert, wenn der Abschluss erst sieben Tage später möglich ist? Wie kommt es mit der entsprechenden Verzögerung dann zur Unterschrift?
- Verlagert sich der Beratungsprozess für Restschuldversicherungen vom Vertriebspartner auf den Versicherer selbst, sodass der Vertriebspartner/Kreditgeber nur noch als Tippgeber fungiert?
- Wie kann ein nachgelagerter Abschluss einer Restschuldversicherung auf einer Online-Plattform dargestellt werden?
- Welche Produkte können statt der klassischen RSV in die Beratung integriert und direkt zum Abschluss gebracht werden?
- Welchen Einfluss haben die Veränderungen auf die Vertriebskosten bzw. welche Lösungen sind aus Kostensicht sinnvoll?
2. Cooling-Off – Anschub für Produkte und Wettbewerb
Die klassische Restschuldversicherung mit Absicherung gegen Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit und Tod wird es trotz Cooling-Off weiterhin geben. Klassische RSV-Produkte werden sich jedoch dahin entwickeln, dass Laufzeit und Versicherungsumfang durch den Endkunden freier wählbar und nicht mehr an die Laufzeit des Kredits gekoppelt sind. Mitfinanzierte Einmalbeiträge werden in diesem Zuge von laufenden Beitragszahlungen abgelöst.
Zusätzlich wird es vermehrt Produkte geben, deren Bedingungswerke und deren Versicherungsumfang sich stark an klassischen RSV-Produkten orientiert. Diese sichern dann jedoch keine Finanzierung ab, sondern stellen die Absicherung laufender Fixkosten (z. B. Miete, Strom, Mobilfunkverträge) in den Fokus. Private Verbraucher erhalten durch solche Produkte die Sicherheit, laufende Belastungen auch im Falle einer Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfähigkeit – d. h. in Zeiten geringeren Einkommens – decken zu können.
Eine Alternative zur RSV können zukünftig auch Risikolebensversicherungen sein. Nachteil gegenüber der RSV ist dabei jedoch, dass die für die RSV typischen Risiken Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit nicht gedeckt sind und ein Leistungsanspruch nur im Todesfall – und über eine Zusatzversicherung – im Falle einer Berufsunfähigkeit besteht. Im Vorteil sind hier solche Versicherer, die bereits klassische Leben-Produkte in ihrem Portfolio haben und auf entsprechende Erfahrungswerte zurückgreifen können.
Zusätzlich werden Versicherer jedoch auch komplett neue Produkte, die sie gemeinsam mit ihren Vertriebspartnern gestalten, auf den Markt bringen. Bei diesen neuen Produkten wird die Absicherung einer Finanzierung eher in den Hintergrund und das finanzierte Objekt mehr in den Fokus rücken. Der Trend geht also dahin, dass bestehende Vertriebsstrukturen weiter genutzt werden, das Versicherungsangebot sich jedoch mehr in Richtung klassischer Sachversicherungsprodukte entwickelt. Hierbei sind die Versicherer im Vorteil, die bereits heute mit Vertriebspartnern zusammenarbeiten, die sich auf die Finanzierung hochpreisiger Waren und Güter, deren Absicherung den Kunden am Herzen liegt, spezialisiert sind. Konkret können dies Banken/Vertriebspartner sein, die sich auf Kfz-Finanzierungen oder die Finanzierung von Haushalts-/Elektrogeräten fokussieren.
Auch „Embedded Insurance“ wird im Bancassurance-Umfeld ein Thema sein bzw. bleiben. Dieses Geschäft erfordert nämlich genau den Grad der Automatisierung und Anpassungsfähigkeit, den es im RSV-Geschäft in den vergangenen Jahren bereits gebraucht hat.
Herausforderungen bei der Gestaltung neuer Versicherungslösungen
Die Veränderung der Produktwelt bringt für Versicherer nicht nur Chancen, sondern auch Herausforderungen mit sich:
1. Geringe Erfahrungswerte für die Kalkulation neuer Produkte
Neue Produkte, die es so am Markt noch nicht gibt und mit denen man eine Nische erobern kann – das klingt vielversprechend! Doch auf welcher Basis werden solche Produkte kalkuliert, wenn keinerlei Erfahrungswerte zu Schadenquoten vorliegen und nur schwer eine Prognose zum zukünftigen Bestandsvolumen und in der Folge zu den Prämieneinnahmen getroffen werden kann? Welche der neuen Produkte lohnen sich und stellen auch im Umsatz und Gewinn eine echte Alternative zur RSV dar?
2. Personal: Know-how-Aufbau
Der Unterschied zwischen einer RSV und einer Fixkostenabsicherung ist nicht sehr groß. Können Mitarbeiter:innen im Kundenservice jetzt aber „einfach mal eben“ Schäden zu ganz neuen Produkten regulieren und Leistungsentscheidungen treffen? Fachlich ist es nicht das gleiche, ob Sachbearbeiter:innen eine AU-Leistung auf Basis von Arztberichten und AU-Bescheinigungen bewilligen oder prüfen, ob es sich bei einem Schaden an einem Elektrogerät um einen Garantiefall oder einen über das Versicherungsprodukt abgedeckten Schaden handelt.
3. Geänderte Anforderungen an die IT-Systeme
Mit unserer ReSy-Suite begleiten wird einige große Restschuldversicherer in Deutschland nun schon seit mehreren Jahren. Durch neue Produkte verändern sich auch die Anforderungen an das Bestandssystem. Auf der Vertragsseite sind beispielsweise nicht mehr die Informationen der versicherten Person, sondern die des versicherten Elektrogeräts relevant. Auf der Schaden-/Leistungsseite ändern sich die Prozesse insofern, dass ganz andere Nachweise relevant sind und die Leistungshöhen nicht mehr nur durch eine versicherte Rate oder eine aktuelle Todesfallsumme, sondern durch ganz andere Parameter bestimmt werden.
4. Parallele Altsystem-Ablösungen vs. innovative neue Produkte
Die Notwendigkeit auf neue gesetzliche Anforderungen zu reagieren ist bei allen Versicherern vorhanden. Besonders trifft es jedoch diejenigen, die sich mitten in der Ablösung des Altsystems befinden und entsprechend abwägen müssen, wie viel Verzögerung sie bei der Altsystem-Ablösung in Kauf nehmen können und möchten, während sie auf der anderen Seite Zeit in die Integration und Umsetzung neuer Produkte investieren. Es stellt sich die Frage: Wie viel (Zeit und Ressourcen) muss ich investieren, dass ich auf dem zukünftigen, durch Cooling-Off veränderten Bancassurance-Markt nicht den Anschluss verliere und wie viel Zeit kann ich mir mit der Ablösung meines Altsystems lassen?
Autor
Christoph Hiedels ist als Manager bei der Convista tätig und begleitet unsere Kunden bei der Einführung des Bestandsführungssystems “ReSy”. Seine Schwerpunkte liegen in der Business Analyse und der Weiterentwicklung der ReSy-Suite. Insgesamt blickt er auf mehr als zehn Jahre Erfahrung in der Versicherungswirtschaft zurück.
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