Der aktuarielle GeVo-Test – eine Simulation von Geschäftsvorfällen zur Prüfung der mathematischen Korrektheit und Funktionalität
„Vertraue, aber überprüfe.“ Das russische Sprichwort wurde einst durch Präsident Ronald Reagan berühmt. Im Kern unterstreicht der Satz, dass ein Gleichgewicht zwischen Vertrauen und Kontrolle notwendig ist. Eine Maxime, die auch für Bestandsmigrationen gilt. Datenfehler, fehlerhafte Berechnungen und unbemerkte Abweichungen im neuen System können schwerwiegende finanzielle und regulatorische Folgen haben. Es reicht demnach nicht, auf den Erfolg einer Migration zu vertrauen. Genau hier setzen die Tests der Geschäftsvorfälle (auch GeVo-Tests genannt) an: Sie sind das Sonar, das versteckte Risiken frühzeitig aufdeckt und eine sichere Fahrt ins neue System ermöglicht. In diesem Artikel beleuchten wir GeVo-Tests und gehen darauf ein, warum sie so essenziell sind und worauf bei der Durchführung zu achten ist.

Was sind GeVo-Tests?
GeVo-Tests sind ein wichtiger Schritt im Migrationsprojekt. Sie sind – neben dem Test der Policierung und dem Migrationscontrolling – ein wichtiger Baustein in den aktuariellen Migrationstests. GeVo-Tests simulieren reale Geschäftsvorfälle über komplette Lebenszyklen, um damit die mathematische Korrektheit und Funktionalität im Zielsystem zu gewährleisten. Sie stellen die Voraussetzung für das spätere Migrationscontrolling dar.
Warum sind GeVo-Tests so wichtig?
- Vermeidung finanzieller Risiken: Falsch berechnete Beiträge, Reserven oder Leistungsansprüche können erhebliche finanzielle Schäden verursachen.
- Sicherstellung regulatorischer Konformität: Versicherungen unterliegen strengen aufsichtsrechtlichen Anforderungen, die eine korrekte Bestandsführung und Berechnung erfordern.
- Erhaltung der Kundenbeziehungen: Fehlerhafte Migrationen können zu fehlerhaften Policen und Leistungsabrechnungen führen, was das Vertrauen der Kunden gefährdet.
Herausforderungen bei GeVo-Tests
Wie also vorgehen, damit die GeVo-Tests gelingen?
Ein strukturierter Testprozess stellt sicher, dass die Funktionalität der Tarife korrekt ist.
1. Testfallkonzeption
Zunächst sollten die Fachkonzepte der jeweiligen Tarife gründlich gelesen und verstanden werden. Das ist die Basis für alle weiteren Schritte: Eine detaillierte Analyse des Bestands ist erforderlich, um die relevanten Vertragskonstellationen und Geschäftsprozesse zu identifizieren. Beim Festlegen der Testfallkonstellationen ist es wichtig, Testfälle so auszuwählen, dass sie den Bestand möglichst gut repräsentieren. Nicht jede theoretisch mögliche Kombination aus Haupt- und Zusatzversicherungen muss getestet werden, wenn entsprechende Verträge in der Praxis nicht existieren.
Eine vollständige Abdeckung aller Tarife und Geschäftsvorfälle (GeVos) ist das Ziel. Die Herausforderung dabei: die Balance zu finden. Einerseits sollten alle relevanten Konstellationen abgedeckt sein, andererseits darf der Testaufwand nicht ins Unermessliche steigen.
Neben der Testfallkonstellation ist es genauso wichtig, die Testorganisation möglichst effizient aufzustellen. Dazu gehört die Bildung von Arbeitsgruppen, die nach Tarifgruppen (z. B. Kapital, Renten, Risiko) aufgeteilt werden. So können Testfälle gezielt entwickelt und anschließend durchgeführt werden.
2. Erstellung von Testfallketten
Um möglichst viele Geschäftsvorfälle in einem Testfall abzudecken, empfiehlt es sich, mit Testfallketten zu arbeiten. Dies ermöglicht Ihnen, komplexe Abläufe in mehreren Schritten zu validieren und Wechselwirkungen innerhalb der Migration zu testen.
Die Testfallerstellung startet mit synthetischen Testfällen, die gezielt für bestimmte Szenarien erstellt werden. D. h. man sucht sich eine bestimmte Konstellation aus (Tarif, Zahlweise, Überschusssystem etc.) und testet erst einmal diese. Der Vorteil dabei besteht darin, dass man nicht auf die Transformation der Daten für die echten Bestandstestfälle warten muss und schon vor der Datentransformation mit dem GeVo-Test beginnen kann. Dies erleichtert die Identifikation von systematischen Fehlern und vereinfacht die Fehleranalyse.
Erst nachdem synthetische Testfälle erfolgreich durchlaufen wurden, sollten Tests mit echten Bestandsdaten erfolgen. Diese Tests sind essenziell, um sicherzustellen, dass das Zielsystem mit realen Daten wie erwartet funktioniert.
3. Testabgleich
Bevor die eigentlichen Geschäftsvorfälle (GeVos) getestet werden, sollten die Werte bei der Policierung abweichungsfrei sein. Geprüft wird bei der Policierung die Tarifkalkulation Beitrag/Leistung. Darüber hinaus werden Beispielrechnungen durchgeführt. Zu empfehlen sind hier Berechnungen von Deckungskapital, Überschüssen und Leistungen.
4. GeVo-Tests
Kommen wir zum Herzstück, den eigentlichen GeVo-Tests. Zunächst werden Testketten erstellt und im ATE laufen gelassen. Gleichen Sie die Werte über Abgleichstools mit dem Referenzrechner ab. Sollte es nicht möglich sein, einen Referenzrechner zu benutzen, kann der Testfall in Excel nachgestellt werden – anhand der Geschäftspläne und/oder der 13D-Mitteilungen. Treten Abweichungen auf, ist genau zu analysieren, wo diese ihren Ursprung haben. Das Credo dabei: Fehler im Zielsystem sind zu korrigieren, Toleranzen einzuhalten. Wie hoch dabei die Toleranzen ausfallen dürfen, ist vorab mit dem verantwortlichen Aktuar und auch mit der BaFin abzustimmen. Erfahrungsgemäß bewegen diese sich im Cent-Bereich. Stoßen Sie auf unkritische Abweichungen, können Sie diese im Zielsystem als sogenannte „bekannte Abweichungen“ einstellen.
Welche Geschäftsvorfälle (GeVos) sollten getestet werden?
- Policierung
- Rückkauf
- Tod/Tod Kind
- Unfalltod
- Ablauf Versicherungsdauer
- Rentenübergang
- BU-Leistung/Reaktivierung BU
- Kundeninfo
- Ausschluss ZV
- Tarifwechsel
- Teilrückkauf/Entnahmen/Teilauszahlungen
- Beitragsfreistellung
- Wiederinkraftsetzung
- Dynamik/Widerruf Dynamik
- Zuzahlung
- Switch und Shift
- Beitragserhöhung
- Änderung Laufzeit
- Änderung Todesfallleistung
- Reduzierung Beitrag/Leistung
- Änderung Zahlweise
5. Dokumentation und Testreport
Das Ziel der GeVo-Tests: Alle GeVos müssen getestet und abweichungsfrei sein. Um dies nachzuhalten, sollten Abweichungen und der Status der GeVos und Testfälle dokumentiert werden.
Tipp: Dokumentieren Sie alle Testfälle, den Teststatus wie auch Abweichungen in einer Excel-Datei. Idealerweise pflegen alle Arbeitsgruppen, die die GeVo-Tests durchführen, ihre Ergebnisse in einer Datei. So haben Sie stets den Überblick,
- welche Konstellationen abgedeckt sind
- welche aktuell fehlen
- und wie der Teststatus ist
Typische Stolpersteine bei GeVo-Tests
Worauf es sonst noch ankommt, damit der GeVo-Test gelingt: Wo lauern häufige Stolpersteine? Wir haben vier Aspekte aufgeführt, die uns im Test-Alltag immer wieder begegnen:
Das Altsystem kann bereits unerkannte Fehler enthalten. Tipp: Weichen Ihre Ergebnisse im Referenz- und Zielsystem voneinander ab, hinterfragen Sie kritisch, wie es zu der Abweichung kommen kann.
Oft wird ein separater Referenzrechner zur Validierung der Berechnungen erstellt. Dies kann jedoch zu Abweichungen führen, wenn Implementierungsdetails nicht übereinstimmen. Auch hier ist zu empfehlen: Analysieren Sie die Abweichungen im Detail. Der Fehler kann auch im Referenzrechner liegen und ist in diesem Fall dort zu beheben.
Gerade bei älteren Tarifen sind die ursprünglichen Geschäftspläne oft nicht mehr vollständig dokumentiert. Tipp: Versuchen Sie, die Berechnungen aus dem Referenzsystem herauszubekommen, oder orientieren sich an ähnlichen Tarifen. Dies erschwert die Nachvollziehbarkeit der Berechnungen.
In der Praxis können Tarife von ihrer ursprünglichen Definition abweichen, sei es durch individuelle Vertragsgestaltungen oder durch technische Workarounds im Altsystem. Tipp: Eine gründliche Analyse historischer Bestände ist daher essenziell.
Es ist schon mehrfach angeklungen – ein wichtiger Baustein der GeVo-Tests ist eine detaillierte Dokumentation: Nachvollziehbare Testberichte sind essenziell für interne und regulatorische Zwecke.
Fazit
Aktuarielle Migrationstests sind der Schlüssel, um die mathematische Korrektheit und vollständige Funktionalität eines neuen Bestandsführungssystems sicherzustellen, und GeVo-Tests ein wichtiger Teilbereich davon. Ein strukturierter Testansatz hilft, Risiken zu minimieren und eine reibungslose Migration zu gewährleisten. Wer frühzeitig eine durchdachte Teststrategie entwickelt, schützt sich vor bösen Überraschungen – und sichert langfristig das Vertrauen von Kunden und Aufsichtsbehörden. Angemerkt sei aber auch: Eine 100%ige Testabdeckung ist nicht möglich – und auch wirtschaftlich nicht sinnvoll. Damit müssen wir – um den Bogen zum eingangs erwähnten Zitat zu spannen – zumindest zu einem gewissen Grad auch schlichtweg vertrauen.
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Autoren
Luca De Conti hat mehrjährige Erfahrung in der aktuariellen Beratung, insbesondere in den Bereichen Migration von Lebensversicherungsbeständen. Sein Schwerpunkt liegt im Migrationscontrolling.
Katja Schirmer besitzt über 15 Jahre Erfahrung im aktuariellen Umfeld. Sie begleitete schon mehrere GeVo-Tests bei Migrationen von Lebensversicherungsbeständen.