Die Versicherungsbranche im Wandel: Diese Themen prägen die Assekuranz
Die Herausforderungen, vor denen die Versicherungswirtschaft steht, werden nicht weniger. Im Sommerinterview beleuchtet Matthias Müller, Managing Partner & CSO Geschäftsbereich Versicherungen, Themen, die die Versicherungsbranche aus seiner Sicht aktuell bewegen.
Das Convista Sommer-Interview: Geschäftsbereich Versicherungen mit Matthias Müller
im Gespräch mit Thomas Iskra
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Heute zu Gast bei den Convista-Sommer-Interviews ist Matthias Müller. Matthias Müller ist Managing Partner und bei uns verantwortlich für den Bereich Versicherung.
Matthias, man liest und hört ja überall, dass dieser digitale Wandel Geschäftsprozesse, Geschäftsmodelle und Erwartungen verändert. Wie ist das in der Versicherungsbranche?
Ja, der Wandel ist überall zu spüren und Versicherungen betrifft es ganz besonders. Versicherungsnehmer von heute sind, nicht mehr die gleichen wie die von gestern. Der digitale Wandel erfordert zum Beispiel andere Zugangskanäle. Einen jungen Menschen, der sich viel auf TikTok oder Instagram bewegt, den erreichte eine Versicherung nicht über Briefpost. Auch gestiegene Kosten und Inflationsraten prägen das Versicherungsgeschäft. Ein hoher Automatisierungsgrad ist einfach erforderlich, um das im Griff behalten, aber viel mehr, um Komfort zu gewinnen für die Versicherungsnehmer.
Stichwort Automatisierung. Ist diese in den Systemen – teilweise sind noch Altsysteme im Einsatz – im gewünschten Maße umsetzbar?
Wenn man in der Versicherungsbranche von Altsystemen spricht, dann sind das ja meistens Host-Systeme. In denen hat der Nutzer nach wie vor keine Maus, sondern bedient das System über irgendwelche Shortcuts, F10-oder anderen Funktionstasten. Da lassen sich so einige moderne Anforderungen nicht oder nur mit großem Aufwand abbilden. Deswegen denken viele Versicherer über die Ablösung, Migration und Modernisierung der Bestandssysteme nach – oder stecken mitten drin. Das ist im Augenblick ein großes Thema, das uns schon die letzten 10, 15 Jahre begleitet hat, die Branche auch eine ganze Weile begleiten wird. So eine Host-Ablösung ist nichts, was man mal in zwei Jahren macht.
Und für die Ablösung braucht man Profis, die einen auf diesem Weg mit Best Practice-Lösungen begleiten?
Wir erklären ja nicht Versicherungen, wie Versicherung funktioniert – das wissen Sie selbst. Was wir mitbringen ist die Erfahrung. Unsere Berater:innen haben Ablösungsprojekte in den letzten 10 Jahren vielleicht jedes Jahr gemacht, während Versicherungsmitarbeitende so eine Host-Ablösung in aller Regel das erste Mal in ihrem Leben machen. Und es auch kein zweites Mal machen werden.
Das gilt auch bei der Auswahl und Einführung eines Bestandssystems: Auch diese werden nicht alle 5, 6 Jahre gewechselt, sondern da sind 20, 30 Jahre keine Seltenheit. Das System, das wird zwar meist stetig modernisiert, aber eben nicht komplett erneuert.
Da bringen wir die Erfahrung mit. Dadurch, dass wir solche Projekte schon öfter gemacht haben, können wir wertvolle Tipps und Best Practices, die sich am Markt etabliert haben, geben. Denn den Blick haben Versicherungen nie.
Dieser Marktblick ist sicherlich sehr wertvoll.
Genau, das ist der Punkt.
Ein weiterer Aspekt: Wir hatten kürzlich einen Versicherungsvorstand zu einer Podiumsdiskussion bei uns eingeladen. Er sagte, sein Hauptthema ist der Fachkräftemangel. Die Generation Baby Boomer – das hat sich rumgesprochen – geht in den nächsten Jahren in Rente. Es fehlt das Personal, das nachrückt. Und ich sage mal so, in eine Versicherung zu gehen, das klingt erst mal nicht so attraktiv für viele. Gerade für Bereiche, die im Umfeld von Apple und Microsoft unterwegs sind, tun sich schwer, High Potentials für eine Versicherung zu gewinnen. Deswegen ist es eine Notwendigkeit, gewisse Automatisierung vorzunehmen. Einerseits, um den Komfort für den Versicherungsnehmer aufrecht zu erhalten oder zu verbessern, andererseits lässt sich nur so der Fachkräftemangel ausgleichen.
Ein anderes Thema, das die Branche umtreibt ist Bereich künstliche Intelligenz. Nicht zuletzt durch ChatGPT ist das Thema aktuell in aller Munde. Was meinst du, ändert KI die Versicherungsbranche?
Das wird sehr vieles deutlich verändern. Und im Gegensatz zu vielen anderen Technologien, bei denen man in der Versicherungsbranche nicht recht wusste, welchen Businesscase man dafür hat, fallen einem bei ChatGPT zahlreiche Einsatzmöglichkeiten ein. Man darf nur nicht den Fehler machen, zu glauben, ChatGPT sei das All-Heilmittel. Aber generative Sprachmodelle sind gekommen, um zu bleiben. Sie sind keine Modeerscheinung, daran wird weiter gefeilt werden. Und es gibt zahlreiche Anwendungsfälle, für die man sie nutzen kann. Und auch Einsatzmöglichkeiten, bei denen nicht nur stupide Arbeiten abgenommen werden sollen, sondern auch Aufgaben, bei denen viel Wissen notwendig ist.
Ein Beispiel: Wenn du eine Versicherung anrufst und der Anrufbeantworter sagt: „Wählen Sie die 1 für x, wählen sie die 2 für y – und bei 10 weiß der Anrufer schon nicht mehr, was 3 war.“ So eine Aufgabe kann zum Beispiel so ein Roboter abnehmen. Chat GPT kannst du über Sprache steuern. Gute Systeme brauchen nur noch 30 Sekunden, um eine Sprache von jemandem zu imitieren. Und dann kann der Versicherungsnehmer seine Versicherungsscheinnummer, Wohnort, Geburtsdatum, Name durchgeben – alles, was man braucht, um sich zu identifizieren, sowie sein Anliegen schildern. „Ich habe ein neues Auto“ oder „ich will xy abschließen“ und die Dokumente werden ihm automatisch zugesandt. Da braucht es keinen Menschen mehr. Das macht der Kollege Computer automatisch. Der Vorteil für die Kunden, er kann zu jeder Uhrzeit anrufen, 24/7. Und der Versicherer kann die Person, die dann an einem Telefon sitzen müsste, zielgerichteter einsetzen. Der Berater oder Kundenberater kann sich um persönliche Dinge kümmern: bei seinen Kunden sein, Probleme lösen, die vielleicht die KI noch nicht kann. Also, Themen, wo man nicht einfach stupide den Computer füttert, sondern wo vom Menschen Kreativ-Leistung oder Empathie erforderlich ist. Da ist nach wie vor der Mensch noch überlegen, weil er einfach bestimmte Dinge zusammenfassen kann, die vielleicht für den Computer in dem Moment aus unlogisch erscheinen.
Kommen wir zum Thema Regulatorik: ESG-Reporting im Bereich Versicherung auch wahrscheinlich ein wichtiges Thema. Neben vielen anderen.
Das Ziel bei allen regulatorischen Themen ist eigentlich immer das Gleiche, ob das jetzt VAIT ist oder ESG: Man versucht, die regulatorischen Themen so gut wie möglich zu erfüllen, allerdings mit einem möglichst geringen (finanziellen) Aufwand, um mit einem schlanken Fuß durch die Tür zu kommen. Auch hier kann ein Berater helfen, der die Sicht von außen mitbringt.
ESG ist kein neues Thema. Nur konnte man früher relativ frei reporten. Jetzt gibt es klare ESG-Vorgaben. Hinzu kommen Themen, die in der Vergangenheit nicht abgefragt wurden. Das macht das Reporting vergleichbarer, stellt aber viele Versicherungen vor große Herausforderungen in der Umsetzung. Während die großen Konzerne das ESG-Reporting in aller Regel schon im Blick haben, schieben viele VVaGs das Thema auf das nächste Jahr. Sie wägen sich da in vermeintlicher Sicherheit, weil man erst ab 2025 ESG-konform reporten muss. Dabei wird außer Acht gelassen, dass all die Aspekte, die man am 1. Januar 2024 nicht bereitstellt, auch am 1. Januar 2025 nicht reportet werden können.
Es ist also deutlich mehr als 5 vor 12, das ist eigentlich schon eher 5 nach 12. Und da hilft es natürlich, sich Profis mit an Bord zu holen, die einen bei der Prozessoptimierung unterstützen, damit das Reporting zum Stichtag funktioniert. Wir initialisieren deshalb auch ein ESG-Experten-Forum, in dem sich Mitarbeitende von Versicherungen, die das Thema ESG-Reporting betreiben, austauschen können. Da werden keine Geschäftsgeheimnisse ausgetauscht, denn das betrifft alle Versicherer gleichermaßen.