Machine Learning in der Versicherung: Warum jetzt?
Machine Learning ist aus den aktuellen Diskussionen in der Versicherungsbranche nicht mehr weg zu denken. Für viele Versicherer stellt sich die Frage: Wie mit Machine Learning in der Versicherung umgehen? Brauche ich das? Wir haben eine klare Antwort: JA! Doch warum jetzt? Warum sollten Versicherer jetzt auf Machine Learning setzen?
Ist Machine Learning nur ein weiteres Hype-Thema?
Neuen Technologien wird schnell der Hype-Stempel aufgedrückt – das trifft auch auf das Thema Machine Learning (ML) zu. Es gilt jedoch nüchtern zu betrachten, an welcher Stelle ML sinnvoll zum Einsatz kommen kann. Per se bietet künstliche Intelligenz in sich keinen Mehrwert. Vielmehr sind die dahinterliegenden Daten und Prozesse ausschlaggebend. Diese Daten sind ein Schatz den die Versicherungsbranche – gerade auch im Vergleich zu anderen Branchen – im Überfluss hat. Mit künstlicher Intelligenz in Form von Machine Learning können Versicherer diese Daten nutzbar machen, um so Prozesse zu optimieren, Effizienz zu steigern und aussagekräftige Vorhersagen zu treffen. (Nicht ohne Grund werden sie auch als das „Öl des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet).
Begriffsdschungel: Was ist Machine Learning?
Machine Learning, künstliche Intelligenz – was ist was? Machine Learning (kurz ML) ist eine Subkategorie von künstlicher Intelligenz. ML nutzt Daten, um daraus selbstständig Muster und Zusammenhänge zu erkennen. Diese Muster lassen sich wiederum verwenden, um Vorhersagen zu treffen und Prozesse zu optimieren.
Im Gegensatz zur klassischen Programmierung, ist bei Machine Learning vorab kein Algorithmus bekannt. Stattdessen wird basierend auf einem Lernverfahren und mittels Trainingsdaten ein Modell trainiert. Unterschieden wird dabei zwischen Überwachtem Lernen (Supervised Learning) und Unüberwachtem Lernen (Unsupervised Learning) und verschiedenen Mischformen, wie teilüberwachtes Lernen und verstärkendes Lernen. Während Überwachtes Lernen aus Daten den Zusammenhang zwischen Eingabewerten und einem vorher festgelegten Zielwert lernt, versucht man beim Unüberwachten Lernen intrinsische Zusammenhänge und Muster aus Daten zu erkennen, ohne im Vorhinein feste Zielwerte zu definieren.
Was bringt Machine Learning einer Versicherung?
Machine Learning eröffnet mit seinen Verfahren Versicherern neue Möglichkeiten für Effizienzsteigerungen und Wachstum.
Mit dem Einsatz von ML werden aktuelle Methoden und Prozesse nicht zwangsläufig über Bord geworfen, sondern ergänzt oder neugestaltet. Dabei geht Machine Learning über klassische, regelbasierte Ansätze hinaus. Algorithmen „lernen“ durch Trainings mit. D.h. konkret: Ihre Erkenntnisse basieren nicht nur auf Erfahrung – also historischen Daten –, sondern auch auf zukünftigen, was die Vorhersagen präzisiert.
Die Vorteile:
- Neue Produkte entwickeln: Auf Grundlage von Daten können Versicherer Potenziale für neue Versicherungsprodukte identifizieren.
- Zeit sparen: ML-gestützte Anwendungen können manuelle, fehleranfällige Arbeitsschritte im Unternehmen übernehmen. Dadurch sparen Versicherungen sich wertvolle Zeit und Ressourcen.
- Bestehende Prozesse optimieren: Erkenntnisse aus den ML-Analysen können Versicherer nutzen, um Abläufe zu optimieren, die Kundenkommunikation zu personalisieren und automatisieren oder die Fallabwicklung zu beschleunigen
- Konsistenz und Präzision: ML-Algorithmen bewerten – im Gegensatz zu Personen – die Daten beständig, zuverlässig und präzise. Ein Beispiel: Müssen mehrere Personen Dokumente nach ihrem Inhalt klassifizieren, so kann es passieren, dass sie diesen unterschiedlich kategorisieren – je nach persönlichem empfinden. Machine Learning hingegen bewertet die Daten konsistent.
Anwendungsfälle: In welchen Bereichen findet Machine Learning in der Versicherung bereits Einsatz?
Prinzipiell kann Machine Learning überall dort eingesetzt werden, wo Sie es mit repetitiven Aufgaben zu tun haben, die eine intelligente Entscheidung benötigen. Dennoch sind KI bzw. ML kein Allheilmittel und nicht für alle Unternehmen, Branchen und Use Cases passend.
Die Einsatzszenarien ergründet die Assekuranz vor allem mittels Proofs of Concept (PoC), sogenannten Machbarkeitsstudien. Haben sich Standardmodelle etabliert, lassen sich Algorithmen des Machine Learning nach einem Fine Tuning anhand der vorliegenden Datenlage schnell im Versicherungsunternehmen einsetzen. Ein Grund mehr, warum sich der Einsatz von Machine Learning gerade jetzt lohnen kann: Für die folgenden Anwendungsfälle liegen bei der enowa AG bereits Proofs of Concept vor.
Bei individuellen Modellen ist der Einsatz von ML abhängig von der Datenlage und dem jeweiligen Business Case.
Fünf etablierte Use Cases:
- Analyse von AVBs:
Das ML-gestützte Tool HighLite analysiert automatisiert AVB-Dokumente (z.B. in PDF-Form), erkennt und extrahiert daraus relevante Textbausteine. Der Algorithmus ist anpassbar – was relevant ist legt der Kunde selbst fest und der Algorithmus wird darauf angepasst (“nachtrainiert”). - Dokumentenvergleich:
Das ML-basierte Vergleichstool compAIr nimmt zwei (oder mehr) Dokumente entgegen, findet gleiche und ähnliche Textstellen und stellt diese übersichtlich gegenüber. Hierbei wird ein vortrainiertes Wortmodell verwendet, welches auf das Versicherungsjargon spezialisiert ist und auch semantische Ähnlichkeit erfassen und bewerten kann. - Data Analytics und Mustererkennung:
Hier dient die Mustererkennung der ML insbesondere dazu, Instanzen zu finden, welche nicht in gängige Muster passen z.B. zur Betrugserkennung sowie Anomalieerkennung, aber auch zur Plausibilisierung von Beständen z.B. vor einer Migration. - Fahrzeugscheinerkennung:
Automatisiertes Einlesen von Daten aus (Fotos von) Fahrzeugscheinen. Der Kunde lädt ein Foto von seinem Fahrzeugschein hoch und das ML-basierte Tool extrahiert die relevanten Texte und leitet sie automatisiert an Folgesysteme weiter. - Potentiale aus unstrukturierten Daten nutzen:
Mit Hilfe des enowa-Wortmodells, das explizit auf Versicherungssprache trainiert wurde, können Informationen, die in Dokumenten oder Freitextfeldern vorliegen, analysiert und zu strukturierten Daten umgewandelt werden. Hierbei können Informationen, die bisher manuell und individuell herausgearbeitet werden mussten, maschinell verarbeitet und genutzt werden.
Voraussetzungen für den Einsatz von Machine Learning in der Versicherung
Wie also vorgehen, wenn man Machine Learning einsetzen möchte? Klären Sie vor dem Einsatz von ML unbedingt folgende Fragestellungen:
- Use Case identifizieren: Wo drückt der Schuh? Identifizieren Sie in einem Use Case Identification Workshop mögliche Anwendungsfälle, klassifizieren Sie diese nach Komplexität und Nutzen.
- Datenlage prüfen: Welche Daten sind verfügbar? In welcher Qualität liegen die Daten vor? Wie sind diese aufzubereiten und zu labeln?
- Technische und fachliche Expertise: Gibt es Standardmodelle auf die Sie zurückgreifen können? Steht eine entsprechende Entwicklungsumgebung bereit? Wer kann den Algorithmus erstellen und trainieren? Wie können Sie sicherstellen, dass er mit den richtigen Daten gefüttert wird, damit aus den Mustern die richtigen Erkenntnisse gezogen werden können. Dazu müssen Sie die Daten und Prozesse verstehen. Es braucht neben IT- also auch Fach-Know-how.
- Reporting und Überwachung sicherstellen: Wie wird das bereitgestellte Modell überwacht?
Fazit: Warum aber genau jetzt?
In der Versicherungswirtschaft sorgen gleich mehrere Faktoren für einen gestiegenen Wettbewerbsdruck. Veränderte Kundenerwartungen und geringere Markteintrittsbarrieren sind nur zwei davon. Wie also die Wettbewerbsfähigkeit steigern? Es gilt die eigenen Prozesse zu optimieren und repetitive Aufgaben zu automatisieren – genau hier bringt ML die größten Vorteile. Gleichzeitig haben sich erste Standardmodelle und erfolgreiche Use Cases etabliert, auf die Versicherer nun aufsetzen können.
Sie wollen mehr darüber erfahren, wie Sie künstliche Intelligenz in Form von Machine Learning in Ihrem Unternehmen einsetzen können oder wie wir Sie bei der digitalen Transformation unterstützen können? Kontaktieren Sie uns gerne für einen Austausch.
Autoren
Lukas Pulß – Management Consultant
Als erfahrener IT-Berater und Versicherungsexperte zeichnet sich Lukas Expertise vor allem durch sein umfassendes Fach- und Branchenwissen sowie seine Erfahrung im gesamten Lebenszyklus von IT-Projekten aus. Als Product Owner bildet er die fachliche Klammer über die KI-Themen im Geschäftsbereich Versicherungen.
Maximilian Lorenz – Data Scientist
Bereits während seines Mathematikstudiums an der Universität Würzburg beschäftigte sich Maximilian Lorenz mit neuronalen Netzen und dem Einsatz von Algorithmen des Machine Learning. Als Data Scientist betreut er KI-Projekte bei internationalen Kunden aus dem Versicherungsumfeld.