Steigende Zinsen – die Renaissance der klassischen Lebensversicherung?

Zinswende – Chance oder Herausforderung für die Lebensversicherung?

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Fachartikel, Versicherungswirtschaft

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Steigende Zinsen - welche Konsequenzen hat das für Lebensversicherer? Symbolbild einer Frau, die sich diese Frage stellt

Steigende Zinsen als Instrument gegen die Kosteninflation

Nach einer langen Niedrigzinsphase hat die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins seit dem 21.07.2022 schrittweise von 0,0% auf zuletzt 2,5% angehoben. Ein weiterer Anstieg auf über 3% erscheint sehr wahrscheinlich in dem aktuellen Wirtschaftsumfeld, das weiterhin von dem Ukraine-Krieg und der damit einhergehenden hohen Kosteninflation geprägt ist. Nach der jüngsten Darstellung des niederländischen EZB-Ratsmitglieds Klaas Knot wird die EZB sowohl im Februar als auch März die Zinsen um jeweils 0,5 Prozentpunkte anheben. Auch in den Monaten danach werde die EZB mit weiteren Zinserhöhungen nachlegen.1

Tabelle zur Zinsentwicklung der EZB von 2012 bis 2022
Entwicklung des Leitzinses seit 2012; Quelle: https://www.euribor-rates.eu/de/ezb-leitzins/

Ein solch rasanter Zinsanstieg lässt nun bei vielen Kunden von klassischen Versicherungsprodukten den Wunsch aufkommen, an dieser Entwicklung mit einer höheren Gesamtverzinsung ihres Versicherungsvertrags teilzuhaben. Aber sind die Versicherungsunternehmen in der Lage, kurzfristig auf diese Renditeerwartungen reagieren zu können?

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob eine Anhebung des Höchstrechnungszins auch vermeintlich ausgedienten Altersvorsorgeprodukten zu neuem Glanz verhelfen kann und diese als Sparprodukte wieder attraktiv erscheinen lässt.

Und welche Möglichkeiten gibt es für Bestandserträge, bei denen das Anlagerisiko vollständig vom Versicherungsnehmer getragen wird und deren Fondsperformance in den letzten Monaten gegenläufig zum Zinstrend gewesen ist?

Zinswende und die Auswirkungen auf die Überschussbeteiligung

Um es gleich vorwegzunehmen: Bestandskunden müssen sich gedulden, bis der positive Zinstrend auch in ihren Verträgen durch eine Anhebung der Überschussbeteiligung spürbar wird.

Nur sehr wenige Unternehmen erwirtschaften derzeit noch eine Rendite jenseits der 3%-Marke. Ein Großteil des Kapitals ist langfristig in festverzinslichen Papieren angelegt – mit einem gegenüber dem aktuellen Leitzins deutlich niedrigeren Ertrag. Auch wenn einzelne Unternehmen aufgrund flexibler Investmentstrategie möglicherweise in der Lage sind, ohne zu große Verluste zeitnah in neue Emissionen mit höherer Rendite zu investieren, dürfte das für die meisten Kapitalanleger nicht gelten. Für sie lohnt sich ein Verkauf der gehaltenen Papiere zu niedrigerem Wert und eine Reinvestition in Anlagen mit höherem Zins zumindest kurzfristig nicht.
Eine Investition freiwerdender Mittel in Anlageformen wie Aktien- und Immobilienfonds oder sonstige Beteiligungen ist vor dem aktuell sehr volatilen Marktumfeld und der aufsichtsrechtlichen Einschränkungen für einen Wechsel in diese Anlagen keine Alternative.

Positiv wird sich für die Versicherungskunden in den folgenden Jahren hingegen die sukzessive Auflösung der Zinszusatzreserve auswirken. Diese Auflösung ist eine Folge der Ende 2018 eingeführten Korridormethode2, welche dafür sorgt, dass der Referenzzins aktuell nicht weiter steigt. Mit der vorher angewandten Methode wäre dies der Fall und würde damit trotz steigender Zinsen zu einem weiteren Aufbau der Zusatzreserve führen.
So aber ist es dem zunehmenden Ablauf von Verträgen mit besonders hohem Garantiezins zu verdanken, dass die freiwerdenden Reservemittel als Ertrag das Zinsergebnis und damit die Mindestzuführung zur Rückstellung für Beitragsrückerstattung erhöhen. Diese wird – zumindest mittelfristig – zur Erhöhung des Vertragsguthabens führen.

Steigende Zinsen und die Auswirkungen auf das Neugeschäft

Gibt es in Zeiten steigender Zinsen in Deutschland einen Markt für klassische Altersvorsorgeprodukte? Tatsächlich fällt es schwer, diese Frage zu bejahen.

Erstens ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar, ob sich der aktuelle Trend bei der Zinsentwicklung sich als nachhaltig herausstellt oder ob es sich nur um einen temporären Effekt handelt. Im besten Fall wird die Deutsche Aktuarvereinigung eine Anhebung des Höchstrechnungszins für das Jahr 2025 empfehlen. Bis dahin erhalten Neuverträge jedoch nach wie vor eine garantierte Verzinsung von höchstens 0,25%, womit bei Ablauf – je nach Vertragskonstellation – nicht einmal die eingezahlten Beiträge gewährleistet sind. Dies schreckt viele Kunden ab, die nicht auf ein Höchstmaß an Garantien verzichten wollen.

Zweitens ist davon auszugehen, dass auch im Fall einer Anhebung des Höchstrechnungszins in den nächsten Jahren Versicherer im Zweifelsfall vorsichtig agieren und sich keine erhöhten Garantierisiken in den Bestand holen. Damit bleibt die sichere Rendite bei der klassischen Lebensversicherung weiterhin hinter anderen Anlageformen zurück.

Ausblick

Aus den oben genannten Gründen ist nicht damit zu rechnen, dass es im Neugeschäftssegment der privaten Altersvorsorge kurzfristig zu einer verstärkten Nachfrage nach klassischen Produkten wie der gemischten Kapitalversicherung kommt. Im Neugeschäft wird der Fokus weiterhin auf Versicherungsformen liegen, bei denen die Kunden selbst das Anlagerisiko tragen. Dabei können die Versicherten jedoch durch geeignete Fondsauswahl vom sich aktuell stark ändernden Marktumfeld profitieren. So werden Einmalbeiträge vorzugsweise in Fonds investiert, die aufgrund ihrer Zusammensetzung aus fest verzinslichen Papieren eine gute Rendite bei geringem Risiko erlauben, wohingegen laufende Beiträge zum Ausgleich von Kursschwankungen in riskante Anlagen fließen.

Diejenigen Versicherer, die noch im Neugeschäftssegment tätig sind, werden auch weiterhin auf innovative Lösungen mit möglichst geringer Abhängigkeit von einem Garantiezins setzen, die eine optimale Verbindung zwischen Beitragsgarantie und der Möglichkeit der Partizipation an hohen Erträgen herstellen. Klassische Lebensversicherungen werden weiterhin für die reine Risikoabsicherung wie Tod oder Berufsunfähigkeit benötigt. Als Sparprodukt jedoch eignen sie sich – zumindest kurzfristig – weiterhin nicht.

Eine der größten Herausforderungen dürfte für die Versicherungsunternehmen jedoch darin liegen, diejenigen Bestandskundennicht zu verlieren, die derzeit besonders unter den steigenden Energie- und Lebenshaltungskosten leiden. Die Umstände könnten viele betroffene Versicherte dazu veranlassen, eine Kündigung ihres Vertrages ins Auge zu fassen. Hierbei dürfte es aus Kundensicht auch keine entscheidende Rolle spielen, ob dem Vertrag eine hohe Garantieverzinsung zu Grunde liegt oder nicht.

Finanzrationale Kunden, die von den steigenden Zinsen profitieren wollen, werden hingegen sehr genau hinschauen, ob der Versicherer ihnen im Vergleich zu anderen Anlegern weiterhin eine attraktive Rendite bieten kann oder aber ein zeitnaher Wechsel in lukrativere Anlageformen möglich ist. Hier stehen die Unternehmen selbst in der Pflicht, proaktiv geeignete Lösungen ins Spiel zu bringen.

Besitzer von Fondsverträgen können, sofern die Versicherungsbedingungen es zulassen, Fondsvermögen zur Absicherung in eine konventionelle Reserve mit laufend aktualisiertem Tageszins übertragen lassen. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass damit auch ein Risikoübergang vom Versicherungsnehmer zum Versicherer einhergeht, den sich letzterer im Allgemeinen bezahlen lässt, was aus Kundensicht wiederum den Ertrag schmälert.

1 Quelle: https://www.handelsblatt.com/finanzen/geldpolitik/ezb-erhoehung-der-zinsen-im-februar-und-maerz-geplant/28937708.html
2 siehe z. B. https://aktuar.de/unsere-themen/lebensversicherung/zinszusatzreserve/Seiten/default.aspx

Autor

Ulrich Kraus – Senior Management Consultant

Ulrich Kraus ist Experte für aktuarielle Fragestellungen im Bereich der Lebens- und Krankenversicherung. Mit seinen über 15 Jahren Erfahrung berät er Versicherungsunternehmen hinsichtlich Produktdesign, Bestandsmigrationen und der Entwicklung von internen Modellen im Solvency II-Kontext.

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