Migrationscontrolling: So stellt der aktuarielle Massentest Qualität in der Bestandsmigration sicher

Der Kunde darf durch den Migrationsprozess nicht schlechter gestellt werden – das ist das wohl wichtigste Credo in der Bestandsmigration. Um genau das sicherzustellen, darf im Migrationsprojekt das Migrationscontrolling nicht fehlen. Was genau im Migrationscontrolling geprüft werden sollte, warum es wichtig ist und wie Versicherer dabei am besten vorgehen.

Veröffentlicht: Zuletzt aktualisiert:

Fachartikel, Migration, Versicherungswirtschaft

1 Min. Lesezeit
Autobahn als Sinnbild für ein schnelles Migrationscontrolling in der Versicherung

Eine der wichtigsten Phasen im Migrationsprojekt ist die Testphase. In diese Phase fällt auch das Migrationscontrolling – ein ultimativer Massentest, der die versicherungstechnischen Werte auf Basis eines Einzelvertrags prüft und so sicherstellt, dass alle Garantiewerte für den Kunden eingehalten werden. Das Migrationscontrolling dient letztlich als Abnahmekriterium der produktiven Migration und spiegelt in gewisser Hinsicht auch die Qualität wider.

Warum das Migrationscontrolling den Erfolg der Bestandsmigration beeinflusst: Definition und Ziele des Migrationscontrollings

  • Das aktuarielle Controlling im Rahmen einer Bestandsmigration wird als Migrationscontrolling bezeichnet.
  • Es stellt den ultimativen Massentest der versicherungstechnischen Werte auf der Basis eines Einzelvertrags dar.
  • Dabei werden Prüfwerte definiert, deren erfolgreicher Abgleich für das zentrale Abnahmekriterium des aktuariellen Tests steht.
  • Eine identifizierte Abweichung zwischen Quellsystem- und Zielsystemprüfwert ist auf bekannte und abgestimmte Abweichungen im Migrationsprozess zurückzuführen.

Mit dem Ergebnis des Controllings weist das Versicherungsunternehmen gegenüber der BaFin nach, dass …

  • alle Verträge auf die versicherungstechnischen Werte erfolgreich geprüft wurden
  • der Kunde im Zuge der Migration nicht schlechtergestellt wird
  • das Gleichbehandlungsprinzip eingehalten wird

Migrationstool für das Migrationscontrolling

Um das Migrationscontrolling durchzuführen, liest das Migrationstool Daten aus dem Quell- und Zielsystem ein und verarbeitet diese. Es können je Prüfwert und Tarif Wertumrechnungsregeln („bekannte Abweichungen“) definiert sowie beliebige Toleranzen verwendet werden. Das Ergebnis des Migrationscontrollings:

  • Vollständiger Nachweis aller definierten Prüfwerte mit Alt-Neu-Vergleich
  • Ermittlung aller Abweichungen relativ und absolut
  • Klassifizierung gemäß vorgegebenen Toleranzen
  • Gesamtbewertung für Bestand/Tarif und je Vertrag
Ablauf Bestandsmigration controlling

Es entstehen sowohl Einzelprotokolle, also Controlling-Listen auf verschiedenen Prüfebenen, als auch Summenprotokolle, die das Gesamtergebnis auf Tarifebene zusammenfassen. Die einzelnen Protokolle werden nach jedem Migrationstestlauf erstellt und müssen aktuariell sowie technisch plausibilisiert und bewertet werden.

Summen- vs. Einzelprotokolle im Migrationscontrolling

Was ist zu prüfen? Bestandteile des Migrationscontrollings

Im Migrationscontrolling werden alle vordefinierten Prüfwerte für den komplett zu migrierenden Versicherungsbestand auf mehreren Prüfebenen und zu unterschiedlichen Prüfzeitpunkten geprüft. Wie und was genau wird geprüft?

Übersicht über die Bestandsteile des Migrationscontrollings: Von der Prüfebene bis zur Abweichung

Prüfebenen

Je nach Bestand und Migrationsprojekt erstreckt sich der Prüfumfang auf mehrere Ebenen:

  • Vertragsebene: oberste Ebene, die einen Gesamtüberblick je Vertrag schafft.
  • Vertragsteilebene: Auf dieser Ebene werden die einzelnen Vertragsteile (Hauptversicherung und Zusatzversicherungen) separat geprüft.
  • Bausteinebene: Diese Ebene ist unmittelbar unter der Vertragsteilebene angesiedelt und umfasst u. a. Dynamiken, Zulagen sowie Bonusbausteine eines Vertragsteils.
  • Fondsebene: Diese Ebene ist nur für fondsgebundene Verträge relevant. Es werden die Fondsanteile sowie das Fondsguthaben je Fonds und Baustein geprüft.

Prüfzeitpunkte

Im Migrationscontrolling werden die Prüfwerte üblicherweise zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten geprüft.

Im Controlling 1 findet die Prüfung zum Migrationsstichtag statt. Der Migrationsstichtag bezeichnet den Termin, zu dem der jeweilige Vertrag durch die Migration funktional im Zielsystem angelegt wird. Dies ist der letzte Jahrestag eines Vertrags oder der letzte technische Änderungstermin, wenn dieser danach liegt.

Der Prüfzeitpunkt für das Controlling 2 ist der Monatsletzte vor dem physischen Durchführungstermin der Migration, dem sog. Migrationstermin. Diese Prüfung soll sicherstellen, dass die versicherungstechnischen Werte auch nach der Fortschreibung des Vertrags weiterhin korrekt sind und keine Abweichungen zu den Quellwerten aufweisen. Für die aktuarielle Freigabe der Migration muss das Controlling 2 ein ausreichend gutes Ergebnis liefern.

Prüf- und Anzeigewerte

Jede Prüfwertebene umfasst mehrere Anzeige- und Prüfwerte.

Anzeigewerte sind Tarifmerkmale und Attribute, die hauptsächlich zur Informationsanreicherung dienen. Dazu gehören beispielsweise die Versicherungsnummer, die Zahlweise und Vertragstermine.

Prüfwerte sind definierte Werte, die miteinander verglichen werden, um die aktuarielle Qualität der Migration sicherzustellen. Ein Prüfwert kann in diverse Kategorien eingestuft werden:

  • Kundenwert
  • Bilanzwert
  • Statistischer Wert
  • Analysewert (nur für Datenqualität)

In der Regel werden über 20 Prüfwerte im Controlling geprüft.

Toleranzen

Um den Rahmen des Migrationscontrollings nicht zu sprengen, werden im Vorfeld je Prüfwert und ggf. Tarif absolute und relative Toleranzen festgelegt, bei denen eine Abweichung zwischen Quell- und Zielprüfwert innerhalb dieser Grenzen akzeptiert werden kann.

Die untere Toleranzgrenze wird benötigt, um den Versicherungsnehmer vor Vermögensverlusten, insbesondere bei garantierten Werten, zu schützen. Sie stellt sicher, dass durch die Migration kein Kunde schlechtergestellt wird.

Die obere Toleranz räumt einen Spielraum für eine Veränderung zugunsten des Kunden ein, muss aber im Kollektiv gerechtfertigt sein.

Bekannte Abweichung

Eine akzeptierte Abweichung wird im Controlling als „bekannte Abweichung“ hinterlegt. Je nach Konstellation können pauschale oder exakte „formelbasierte“ bekannte Abweichungen eingestellt werden.

Bei akzeptierten Abweichungen handelt es sich um Zielwerte, die sich zwar von Quellwerten unterscheiden, aber keinen grundlegenden Fehler darstellen. Typische Beispiele für eine akzeptierte Abweichung sind:

  • geplante und abgestimmte Veränderungen im Rahmen des Migrationsprozesses aufgrund von Tarifzusammenlegungen sowie
  • Quellbestandsfehler, die im Quellsystem nicht mehr korrigiert werden.

Status

Ein Prüfwert gilt im Regelfall als fehlerhaft, wenn sowohl die relative als auch die absolute Toleranzgrenze gleichzeitig verletzt sind. In diesem Fall erhält der Prüfwert einen fehlerhaften Status (= 1 bei positiver Abweichung bzw. 2 bei negativer Abweichung), und die Abweichung muss analysiert werden. Eine bereits berücksichtigte und implementierte bekannte Abweichung sollte nicht zu einer Statusverletzung führen.

Was ist zu tun? Abweichungsanalyse

Während der Testphase, die sich über mehrere Monate erstreckt, finden wöchentlich Testläufe mit Controlling-Ergebnissen statt. Die Kernaufgabe im Migrationscontrolling ist die Analyse der Prüfwert-Abweichungen zwischen Quelle und Ziel. Dabei lassen sich die Abweichungen nach zwei Typen unterscheiden:

  • abgestimmte und akzeptierte Abweichungen (siehe „bekannte Abweichung“)
  • echte Fehler

Abweichungsgründe für echte Fehler können vielfältig sein und aus unterschiedlichen Komponenten stammen. Typische Fehlerursachen sind:

  • Fehler im Quellsystem, z. B. Bestandsfehler oder fehlende Lieferung eines Prüfwerts
  • Fehler im Controlling, z. B. falsche Vorgabe für die Regel eines Prüfwerts oder fehlerhafte Umsetzung der Vorgabe
  • Fehler in der Transformation, z. B. Attribute im Zielsystem nicht oder falsch belegt
  • Fehler aus der Mathematik/Produkt, z. B. Kostenparameter nicht korrekt eingestellt
  • Fehler aus Prozessen, z. B. Fondsausschüttungen werden im Zielsystem nicht ausgeführt

Bei jeder neuen Quelldatenlieferung sowie nach jeder relevanten Produktanpassung oder Korrektur von identifizierten Fehlern erfolgt ein neuer Testlauf mit aktualisierten Controlling-Ergebnissen. Die Analyse der Abweichungen erstreckt sich über die gesamte Testphase bis hin zur produktiven Migration.

Ein paar Wochen vor dem Durchführungstermin der Migration findet im Rahmen der Generalprobe die aktuarielle Freigabe statt. Zu diesem Zeitpunkt werden alle fehlerfreien Verträge aus dem Migrationscontrolling identifiziert, die dann produktiv migriert werden sollen. Verträge mit einem gesamtvertraglichen fehlerhaften Status werden nach Möglichkeit in die Folgetranche verschoben. Ist dies nicht möglich – z. B. bei einer Big-Bang-Migration –, werden diese Verträge mit einer Bearbeitungssperre für die Sachbearbeitung migriert und nach der Migration weiter analysiert und korrigiert.

Fazit

Damit eine produktive Migration als qualitativ hochstehend und erfolgreich bezeichnet werden kann, ist neben diversen weiteren Punkten auch ein ausreichend gutes Ergebnis im Migrationscontrolling zwingend erforderlich. Dies gelingt vor allem, wenn Versicherer …

  • frühzeitig Prüfwerte und Toleranzgrenzen im Migrationscontrolling definieren und diese mit dem Wirtschaftsprüfer abstimmen.
  • Abweichungen zwischen Quell- und Zielsystem nicht bis ins kleinste Detail analysieren und stattdessen zwischen Exaktheit und Aufwand abwägen, ohne dabei die Auswirkungen auf den Kunden außer Acht zu lassen.
  • ausreichend Zeit für das Migrationscontrolling einplanen: Je früher mit der Abweichungsanalyse begonnen wird, desto früher können Fehler identifiziert und behoben werden. Eine längere Testphase verringert somit die Anzahl an potenziellen Fehlern und erhöht die Qualität der Migration.

Sie wollen mehr zum Thema Migration erfahren?

Luca De Conti
Senior Consultant

Luca De Conti hat mehrjährige Erfahrung in der aktuariellen Beratung, insbesondere in den Bereichen Migration von Lebensversicherungsbeständen. Sein Schwerpunkt liegt im Migrationscontrolling.

Luca De Conti Senior Consultant Migration

Luca De Conti

Bilanzierung von tokenisierten Vermögenswerten

Veröffentlicht am 09.12.2024

Bilanzierung von tokenisierten Vermögenswerten im Treasury- und Liquiditätsmanagement: Herausforderungen und Potenziale

Mit der zunehmenden Akzeptanz und Integration von Blockchain-Technologien in Finanzsysteme rückt die Bilanzierung tokenisierter Vermögenswerte in den Fokus von Treasury- und Liquiditätsmanagementsystemen. Insbesondere Stablecoins und Kryptowährungen spielen hier eine zentrale Rolle. Der Umgang mit verschiedenen Tokenarten – darunter Security Tokens,…

Veröffentlicht am 05.12.2024

Die digitale Transformation im Bereich Utilities: Herausforderungen und Chancen

Im Interview mit Carlos Pereira Borgmeier, Managing Partner bei Convista und Leiter des Bereichs Utilities, werden die aktuellen Herausforderungen in der Branche thematisiert. Ein besonderer Fokus liegt auf dem IT-Fachkräftemangel und den Vorteilen von Nearshore-Lösungen für die Energiewirtschaft. Zudem gibt…

S/4HANA als Treiber der Prozessoptimierung: Chancen & Risiken

Veröffentlicht am 03.12.2024

S/4HANA als Treiber der Prozessoptimierung: Chancen & Risiken

Mit der digitalen Transformation setzen immer mehr Unternehmen auf SAP S/4HANA, die moderne ERP-Lösung von SAP. Neben einer verbesserten Benutzerfreundlichkeit und schnelleren Datenverarbeitung bietet S/4HANA das Potenzial, Geschäftsprozesse grundlegend zu optimieren. Doch welche Chancen eröffnet die Einführung, und welche Risiken…